UP TO AND BEYOND THE LIMITS…
by Stefanie Kreuzer
Ein von der Künstlerin veränderter und in seinen Ausmaßen erweiterter Kronleuchter stürzt auf einen Sockel herab. Das Bild ist eingefroren im Moment, in dem die beiden Körper aufeinandertreffen. Schräg bleibt der Leuchter im Sockel stecken, nachdem er seine Oberfläche teilweise durchschlagen hat. Wie gewundene Spiralen ragen die einzelnen Arme aus Kupferrohr, zwischen denen sich Schilder aus Latex verspannen, aus der Aufschlagstelle hervor und drehen sich in den Umraum hinein.
Die Wahl des Momentes des Aufpralls ist von der Künstlerin bewusst so inszeniert, dass sich beim Betrachter in diesem Augenblick die Assoziation entgegengesetzter Kräfte – Zerstörung und Kreation – überlagern. Im Moment der Zerstörung nimmt der Rezipient das durchschlagene Material, die Bruchstellen und das nur schwer einzuordnende DAHINTER wahr. So gewinnen die im Alltagszusammenhang eher gewöhnlichen Materialien wie Gipskarton, Kupferrohr oder Latex einen neue Ausdrucksdimension, indem sie für den Rezipienten nicht mehr eindeutig bestimmbar sind. Die experimentelle Behandlung des Latex oder die lackierten Bruchstellen des Sockels, die den Eindruck einer durchgängigen Materialität beziehungsweise Massivität erzeugen, nehmen neue Oberflächenqualitäten an und brechen damit die Erwartungshaltungen des Betrachters auf, indem sie seine gewohnten Kriterien der Wahrnehmung hintergehen. Fast stoisch wie ein Monolith scheint der Sockel seiner Verwundung zu trotzen und erinnert in seiner gelassenen Isoliertheit durchaus an den mysteriösen, kaum BEGREIFBAREN schwarzen Monolithen im Science-Fiction-Film 2001:ODYSSEE IM WELTRAUM.
Im Leuchter hingegen spielt die Künstlerin mit dem paradoxen, dass die Fragilität seiner Konstruktion eine solche Wucht besitzt, die die Vorstellung eines fast meteoritenartigen Einschlags hervorrufen kann. Ähnlich der Idee der Neutronensterne im All, die bei einer geringen Größe einen extrem hohe Dichte besitzen, überrascht der Leuchter den Rezipienten durch die ihm innewohnenden Qualitäten, die sowohl in der Kraft der Zerstörung als auch in der Lust der Kreation liegen. Als Bild für das Modell eines Universums, von dessen Zentrum aus sich Arme in verschiedene Richtungen ausbreiten, die wiederum – so die Künstlerin – zu NEUEN PARALLELUNIVERSEN führen und dennoch aber in Beziehung zum alten stehen, kehrt der Eindruck der Zerstörung in dessen Gegenteil um und schafft einen Big Bang mit noch offenem Ausgang.
Das Prickeln des Ungewissen ist es, das die Künstlerin in ihren Arbeiten immer wieder zu erforschen und sichtbar zu machen versucht. Der Weltraum sowie Höhlen oder Tiefseewelten beziehungsweise utopische Architekturformen formen das de facto nur schwer betretbare, aber umso verführerische Ideenfeld ihrer Werke. Die Faszination, die sich für die Künstlerin aus der Diskrepanz aus dem Wissen um das Vorhandensein bestimmter Phänomene und der Schwierigkeit des Begreifens eben dieser Phänomene ergibt, bildet die Grundlage und Triebfeder ihrer Arbeiten. Mit einer Lust am Unheimlichen, die die Lust am wohligen Erschaudern mit einschließt, nähert sie sich Thematiken, die den menschlichen Geist im Moment des Begreifens herausfordern.
Die Naturwissenschaftliche, auf physikalischen Gesetzen basierende Form der Untersuchung als KORREKTE anzusehen, die im Hinblick auf die gesellschaftliche Akzeptanz im Rang einer OBJEKTIVEN Wissenschaft steht, und sie zugleich an die Grenzen des Verstehens stoßen zu lassen, bilden den irritierenden Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Suche. Aber nicht naturwissenschaftlich, sondern künstlerisch werden die Phänomene und Konstellationen sichtbar gemacht – und möglicherweise stellt dies eine elegante, greifbare Lösung dar, diese Phänomene überhaupt zu verhandeln. Die Lust, Bilder zu schaffen – auch wenn es sich hier, aus einer bewussten Entscheidung der Künstlerin heraus, um dreidimensionale skulpturale Bilder handelt -, ist nicht etwas fundamental Neues, es begleitet die Geschichte der Kunst seit ihrer Entstehung. Die Aufhebung der Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, die nun eben nicht mehr in einem Gegensatzverhältnis zueinander, das heißt als getrennt voneinander existierende Sehweisen, stehen, sondern aufgrund neuer Wissenschaftszweige zusammenkommen und mithin neue Schnittstellen bilden, stellt allerdings eine neue Form der Visualisierung dar. Das Verwischen dieser Grenze, dass es etwas gibt, das man sich nur bis zu einem gewissen Punkt vorstellen kann, und ihr Sichtbarmachen ist zugleich das Prickeln des Entdeckens und Verstehens, das den Arbeiten von Felicitas Rohden innewohnt.
–
Der einflussreiche Science-Fiction-Film 2001:Odyssee im Weltraum, entstand 1968 unter der Regie von Stanley Kubrick